Der blonde Affe (German Edition) by Janwillem van de Wetering

Der blonde Affe (German Edition) by Janwillem van de Wetering

Autor:Janwillem van de Wetering [Wetering, Janwillem van de]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644508415
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-04-07T16:00:00+00:00


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Zwölf

Cardozo marschierte mit schwingenden Armen, bis ihm sein Eifer bewusst wurde und er in ein übertriebenes Latschen zurückfiel. Er hatte die Uniform vor zwei Jahren ausgezogen, aber es sich noch nicht abgewöhnt, während der Arbeitszeit Streife zu gehen. Er prüfte immer noch Fahrräder auf richtige Beleuchtung und schreckte jedes Mal auf, wenn er sah, wie ein Wagen bei Rot über die Kreuzung fuhr. Ihm fehlte auch der Schutz seines Kollegen. Polizisten auf Streife sind selten allein, Kriminalbeamte dagegen oft. Sein geübter Blick registrierte.

Diese Wohngegend war nicht für Verbrechen bekannt, aber es gab doch Spuren davon. Ein junger Mann auf der anderen Straßenseite bewegte sich wie im Tran. Rauschgift? Oder nur müde nach einem langen Tag im Gymnasium? Ein schlechtgekleideter Ausländer, vermutlich ein Türke, ein Mann mit breitem, braunem Gesicht und einem dichten, pechschwarzen Schnurrbart, schien sich für ein Fahrrad zu interessieren, das an einen Zaun geworfen worden war. Ein Dieb? Oder ein ungelernter Arbeiter auf dem Weg zu einem überbelegten Zimmer in einer billigen Pension im nächsten Stadtteil, nur einen Kilometer von hier entfernt? Cardozo zuckte die Achseln. Er sollte den Mann nicht belästigen, selbst wenn er direkt vor seiner Nase ein Fahrrad klauen sollte. Er war Kriminalbeamter in der Mordkommission, ein Spezialist. Aber er überquerte die Straße. Der Türke war stehen geblieben und hatte sich niedergebeugt, um das Fahrradschloss zu prüfen. Cardozos Hand berührte die Schulter des Mannes. Er schüttelte den Kopf und zog seine Jacke zur Seite, sodass der schimmernde Pistolengriff vor dem weißen Hemd zu sehen war.

«Polizei. Weitergehen.»

Der Mann zeigte seine Zähne in einem vor Angst schiefen Grinsen. «Nur geguckt.»

«Klar. Weitergehen.»

Der Mann trat zur Seite und rannte los. Cardozo sah, dass die Schuhsohlen des Mannes durchgelaufen waren. Der Hosenboden war mit einem anderen Stück Tuch schlecht geflickt. Armut, sie kam in Amsterdam selten vor, aber der Türke befand sich vermutlich außerhalb der Wiege sozialer Sicherheit. Falls er verhungerte, dann verhungerte er eben, er konnte sich an niemanden wenden. Cardozo hatte erst einmal mit der Armut Bekanntschaft gemacht, und zwar, als er auf dem Rückweg von einem Urlaub in Frankreich war und seine Brieftasche mit Geld und Eisenbahnfahrkarte durch einen Riss in seinem ungefütterten Sommerjackett verloren hatte. Er hatte den Verlust der Brieftasche bemerkt, als er gerade die Speisekarte in einem Restaurant studieren wollte, und war wieder auf die Straße gegangen. Mittagszeit ohne Essen, in Paris, wo er sich nicht auskannte und kaum nach dem Weg fragen konnte, weil ihm die Worte fehlten. Er hatte den Rest des Tages gebraucht, um zu Fuß aus der Stadt zu kommen und die Schnellstraße zu finden, wo er stundenlang am Rand gesessen hatte, als die Nacht hereinbrach und der Verkehrsstrom Lücken aufwies, lange schwarze Flauten, die länger wurden, während die Nachtstunden dahinschlichen. An einer Tankstelle hatte er Wasser aus einem Hahn getrunken, misstrauisch beäugt von Wärtern in frisch gebügelter Arbeitskleidung. Kein Kaffee, keine Zigaretten. Von einem anderen Tramper hatte er eine Zigarette geschnorrt und sie hungrig geraucht. Der Tramper war ein Profi, ein sonnengebräunter junger Mann mit nagelneuem Rucksack auf einer Rückentrage aus Aluminiumrohren.



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